Held und Antiheld : Leitfiguren antiker Autoren in Grafikzyklen von Max Slevogt und Lovis Corinth
- Hero and antihero : leading figures of antique authors in portfolios of Max Slevogt and Lovis Corinth
Löschenberger, Nikola; Markschies, Alexander (Thesis advisor)
Aachen : Publikationsserver der RWTH Aachen University (2012)
Doktorarbeit
Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 2012
Kurzfassung
Kaum ein Stilwechsel in der Kunstgeschichte ist so markant wie der zwischen Klassizismus und klassischer Moderne. Inhalt oder Sujet emanzipieren sich vom bildungsbürgerlichen Themenkanon. Und doch verliert die Antike als Bezugspunkt nichts von ihrer Bedeutung: In den vergangenen Dekaden würdigten verschiedene Publikationen das Fortleben der Antike im Zentrum der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Für Picasso, Matisse und andere ist die Bedeutung antiker Motive und Inhalte inzwischen dokumentiert. Die Entwicklung moderner Künstler in Deutschland abseits von Paris aber bleibt von diesen Forschungsansätzen kaum berücksichtigt. Dabei schufen Max Slevogt und Lovis Corinth nicht nur großformatige Historienbilder: Im Medium der Grafik interpretierten sie auch Werke antiker Autoren neu. Graphikfolgen setzen eine gründliche Auseinandersetzung mit der Schriftvorlage voraus und beinhalten durch die erforderliche Bildsequenz ein erzählerisches Moment. Der Grafikyzklus ist eine heute fast vergessene Kunstform. Mit einer verhältnismäßig hohen Auflage und Streuung innerhalb eines breiten Zirkels von Sammlern bietet er eine Plattform für künstlerische Absichtserklärungen und Meinungsäußerungen zu Themen von öffentlichem Interesse mit dem Nebeneffekt künstlerischer Eigenwerbung. Graphikzyklen können als Unterform der Gattung Historienmalerei gelten, in der traditionell aktuelle Themen aufgegriffen werden. Prominentestes Sujet dieser Gattung ist die Darstellung kriegerischer Handlungen, die Menschen seit jeher künstlerisch bearbeiteten. An der Wende zum 20. Jahrhundert nutzen gerade deutschsprachige Künstler den Grafikzyklus zu einer dezidierten Auseinandersetzung mit der Antike. Max Slevogt bringt 1907 im Münchener Verlag A. Lange eine Folge von 15 Lithografien zu der Hauptperson der Ilias, Achill heraus. Der darauf folgende 9 Lithografien umfassende Hektor erscheint kriegsbedingt erst 1921 bei Bruno Cassirer. Lovis Corinth publiziert 1919 eine Mappe von 15 Radierungen zum Gastmahl des Trimalchio aus einem Romanfragment des Petronius, erschienen bei F. Buchmann in München. Alle drei Werke kreisen um jeweils einen Protagonisten. Slevogt wählt die gegeneinander antretenden Krieger Achill und Hektor aus der Ilias und stellt sich damit einer weit zurückreichenden Darstellungstradition europäischer Kunstgeschichte. Jede Epoche entwickelt ein neues Heldenbild und bereichert so die Ilias um eine neue Interpretation, woran gleichzeitig das Kunstverständnis der eigenen Zeit ablesbar wird. Das sich zwangsläufig verändernde Abbild der antiken Literaturvorlage erlaubt auch Rückschlüsse auf den jeweiligen Stellenwert des Krieges. Die Vorzeichnungen zeugen von der oft langwierigen Entwicklung traditioneller Szenen wie der Schleifung Hektors, denen er eine neue Deutung unterlegt, und eigenständig ausgewählten Szenen, die zusammen eine kritische Beurteilung beider Persönlichkeiten ergeben. Die Arbeit mit Versatzstücken klassizistischer Kunstwerke läßt sich nicht nur für Achill und Hektor, sondern auch in dem späteren, Hagen gewidmeten Graphikzyklus der Nibelungen nachweisen und kann damit als stilistische Eigenart Slevogts betrachtet werden. Slevogt stellt den Heldenstatus seiner Protagonisten infrage, als eine Rolle, die er selbst jedoch niemals für sich beanspruchen würde. Er versteht sich als hinter seinem Werk zurücktretender Chronist, der die Trennung zwischen Darstellendem und Darsteller nicht überschreitet. Anders als Corinth, der in seinem eigenen Werk die Definition des Künstlers ins Zentrum rückt. Als Krieger posierend, stellt er die Kunst als seine Beute dar; für sein öffentliches Auftreten kreiert Corinth eine Kunstfigur von wohldurchdachter Primitivität. Die Figur Trimalchios dient dem 60jährigen als Gelegenheit, über sein eigenes Werk und das Spiel mit der eigenen Identität zu reflektieren. Seiner Stellung als Professor gemäß setzt sich Corinth, anders als Slevogt, in Wort und Graphik intensiv mit dem Kubismus auseinander. Corinth nutzt die Hauptperson des ordinären Gastgebers Trimalchio, um sich über alle Konventionen hinweg zu setzen. Beide Künstler nähern sich der Antike über von der Literatur zu Helden oder Antihelden erhobene Protagonisten. Slevogt befreit Achill und Hektor vom Klischee des tugendhaften Vorbildes und kommentiert zugleich die Kriegsbegeisterung und Ernüchterung am Beginn und Ende des Ersten Weltkrieges. Indem er die Ilias vom klassizistischen Idealisierungszwang befreit, bereitet er zugleich den Boden für Corinths spielerischen Umgang mit einer antiken Literaturvorlage als Spiegel der eigenen Künstlerpersönlichkeit.
Identifikationsnummern
- URN: urn:nbn:de:hbz:82-opus-43348
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-CONV-113407