Von wegen Kirche, Kult und Klerus! Wenn Architekturmalerei zur Offenbarung wird.

  Von wegen Kirche, Kult und Klerus.

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Beschreibung

Unter „Kirchen“ versteht man gemeinhin Gebäude, die dem Gottesdienst bzw. der Kultausübung verschiedener christlicher Religionsgemeinschaften dienen. Diese Definition scheint unumstößlich – doch weit gefehlt. Gemalte Kircheninnenräume in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts vermitteln jedenfalls einen völlig anderen Eindruck. Was sie zeigen, sind durch und durch nationale Schöpfungen, die auf Neuerungen reagieren, die allesamt in den Niederlanden entwickelt worden sind und in dieser einzigartigen Verflechtung nur dort anzutreffen waren:

In der Architektur, vor allem den Kirchen und Rathäusern, manifestiert sich wie selten in Europa der bemerkenswerte Stolz eines selbstbewussten Bürgertums, in den Gemälden der Kirchen ein typisch neuzeitlicher Erkenntnisdrang, eine Neugierde des Auges, die keinen Winkel und keine Ecke in einem Kirchenraum unentdeckt zurückließ. Diese neue Variabilität fokussierender Blicke zerlegt die Kirche als den größten Einheitsraum seiner Zeit wie in einer anatomischen Sektion mit neuen kühnen Perspektiven in Teilräume. Der eine Schauplatz mutiert zu einer Summe von Teilschauplätzen, Raum wird nicht länger als abstrakte Entität, sondern als relationales Gefüge aufgefasst, maßgeblich definiert durch die Handlungen, die in ihm stattfinden. Die allgegenwärtige Sensibilität für den architektonischen Raum ist dabei nicht zuletzt aus der Dynamik ständiger Grenzverschiebungen im geographischen und politischen Raum erwachsen, erfahrbar an der Küste, wo das Land schon immer gegen das Meer verteidigt werden muss, aber auch im Landesinnern, wo man sich 80 Jahre lang gegen die spanischen Besetzer zur Wehr zu setzen hatte.

Somit geht es der Kirchenmalerei nicht vornehmlich um Kirche, Kult und Klerus, wie man meinen könnte. Vielmehr ist sie in erster Linie ein höchst innovatives Instrument einer Raumforschung, die ihrer Zeit weit voraus war: Mehr als drei Jahrhunderte vor dem spatial turn, vor der Fokussierung und Priorisierung des Raumes an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert, öffnet sie bereits die Augen für Grundsätzliches: Architektur, gemalt in Öl, ist direkter Kommentar der Architektur in Stein. Sie ist Raumerschließung und Autopsie, Wesensbestimmung von Raum, Raumnavigation und Leseanleitung zugleich. Wegen all dieser aufschlussreichen Einsichten ist sie aber keineswegs nur klug konzipiert und lehrreich – immer ist sie auch ein Fest des Auges, erzählerisch, mitunter sogar frech und ketzerisch, witzig und ironisch, auf jeden Fall aber kurzweilig und in hohem Maße inspirierend und unterhaltsam. Es gibt viel zu entdecken, schauen wir es uns an!

 

Modul

Wahlmodul
M.Sc. // alle Semester

Termine

Freitags, 10:30 - 12:00 Uhr
Beginn: 22. April 2022
ST 6 (1665|006)

Begleitmaterial

Sie können in RWTHMoodle die dazugehörigen Vorlesungsinhalte für Nachbearbeitungszwecke herunterladen.